Reisende
auf dieser Welt
Aus dem Leben einer Rom-Zigeunerin
Ceija Stojka, Hg Karin Berger, Picus Wien 1992
Der zweite Teil von Ceija Stojkas bewegender Autobiografie.
Ihre Erinnerung an die letzten “fahrenden Jahre”
hat sie zu einem in der Literatur wohl einmaligen Stück Poesie gestaltet:
zu einem Text von großer Sinnlickeit, in dem der Blick des intensiv
wahrnehmenden und erlebenden jungen Mädchens mit jenem der zurückschauenden,
um das endgültige Aus für diese Lebensform wissenden Erzählerin
in ständiger Schwebe bleibt. Ein Text, der zeigt, wie das Grauen
von Auschwitz und Bergen-Belsen, der Schmerz um den in Dachau umgekommenen
Vater, um die vergasten oder sonstwie ermordeten Verwandten selbst noch
die glücklichsten Lebensphasen überschattet und bis zuletzt,
auch in den Träumen, anwesend bleibt.
Lotte Podgornik
PRESSE
DIE MUSIK WAR IMMER DA
….
14jährig kehrt Ceija Stojka aus der Hölle von Auschwitz und
Bergen-Belsen zurück. Von ihrem (Über)Leben in Österreichs
Wiederaufbau-Gesellschaft handelt ihr zweiter, weitgehend autobiographischer
Text.
Nach dem Krieg setzt sich die Diskriminierung der Roma und Sinti mit anderen
Mitteln fort: Das kurze Glück, in einer ehemaligen Nazi-Wohnung untergekommen
zu sein, wird nach wenigen Monaten durch die Rückkehr der Besitzer
jäh beendet. In der Konfrontation mit den Behörden tauchen der
alte Haß und das Mißtrauen, nur wenig gedämpft durch
die neue Gesetzlichkeit, wieder auf. Vom “Wiederaufbauwunder”
bleiben Ceija und die Überlebenden ihrer Familie ausgeschlossen.
Der Not gehorchend, hatten sie ihre fahrende Lebensweise nach 1945 wieder
aufgenommen, doch nur für wenige Jahre: Mit dem Aufkommen der Traktoren
bringt der Pferdehandel, von dem die Familien hauptsächlich lebten,
immer weniger und schießlich nichts mehr ein. Eine jahrhundertalte
Lebensweise geht damit zu Ende.
Erst mit dem Erwerb eines Gewerbescheins und der damit verbundenen Möglichkeit,
als MarktfahrerInnen ihren Lebensunterhalt legal zu verdienen, gewinnt
die Existenz der Ceija Stojka und ihrer Angehörigen eine Spur von
Sicherheit. Für sie selbst als dreifache Mutter, lange Zeit ohne
Vater für ihre Kinder, bleibt, wenn auch eingebunden in das funktionierende
Netz einer Großfamilie, das Leben immer noch schwierig genug. Ihre
Erinnerung an die letzten “fahrenden Jahre” hat sie zu einem
in der Literatur wohl einmaligen Stück Poesie gestaltet: zu einem
Text von großer Sinnlichkeit, in dem der Blick des intensiv wahrnehmenden
und erlebenden jungen Mädchens mit jenem der zurückschauenden,
um das endgültige Aus für diese Lebensform wissenden Erzählerin
in ständiger Schwebe bleibt. Ein Text, der zeigt, wie das Grauen
von Auschwitz und Bergen-Belsen, der Schmerz um den in Dachau umgekommenen
Vater, um die vergasten oder sonstwie ermordeten Verwandten selbst noch
die glücklichsten Lebensphasen überschattet und bis zuletzt,
auch in den Träumen, anwesend bleibt.
Ein weiterer Schatten fällt auf Ceijas spätere Jahre: Mit großer
Eindringlichkeit schildert sie ihren verzweifelten, aber letztlich aussichtlosen
Kampf um den jüngsten Sohn, Jano, den bekannten Schlagzeuger, der
im Alter von 24 Jahren ein Opfer seiner Rauschgiftsucht wurde.
Kaum jemand aus Ceijas Generation hat Lesen und Schreiben gelernt, auch
sie hat es sich weitgehend im Selbststudium beigebracht. Und Schreiben
ist für sie nur eine – wenn auch sehr wichtige – von
verschiedenen Ausdrucksformen; eine andere ist die Malerei, die vielleicht
wichtigste – die Musik:
“Die Musik war eigentlich immer da, egal, wo ich war, mein ganzes
Leben war mit Musik verbunden.” In einem Gespräch mit der Herausgeberin
des Buches erzählt Ceija Stojka über die musikalische Überlieferung
ihrer Volksgruppe, wobei bestehende Klischees über “Zigeunermusik”
gründlich zerstört werden. Die Tradition der alten, von Generation
zu Generation mündlich weitergegebenen Lieder, deren Reiz vor allem
in der Improvisation von Text und Melodie besteht, wird heute nur mehr
von wenigen aufrechterhalten. Sie selbst hat sie hauptsächlich von
einer Großmutter und Tante gelernt und sieht es als ihre Aufgabe,
diese Tradition nicht austerben zu lassen: nicht zuletzt deshalb, weil
mit den Liedern der Sinti und Roma auch deren Geschichte und Kultur –
eine schriftliche Überlieferung besteht ja nicht – endgültig
vergessen würde. Indem sie mit Liedern ihrer Rom-Gruppe öffentlich
auftritt und selbst in Romanes textet und komponiert, trägt sie nicht
nur zur Aufrechterhaltung der musikalischen Überlieferung, sondern
auch zu deren Weiterenwicklung bei.
Lotte Podgornik, SALTO, Jänner 1993
SOLANGE ES ROMA GIBT WERDEN SIE SINGEN
….
Ceija Stojka tritt uns als starke Frau entgegen, mit klaren und lebensbezogenen
Gefühlen. Ihre Erinnerungen sind genau, manchmal minutiös. Sie
schreibt direkt und unpathetisch von den Tränen ebenso wie von frohen
Stunden. Der zweite Teil des Buches gibt Auszüge eines Gespräches
wieder, das Ceija Stojka mit Karin Berger, der Herausgeberin des Bandes,
geführt hat. “Solange es Roma gibt, werden sie singen”,
lautet seine Überschrift. Ceija Stojka beleuchtet darin die Bedeutung
der Lieder in der Kultur der Roma: das Lied ersetzt die schriftliche Überlieferung;
es ist poetisches Ausdrucksmittel, es erzählt Geschichten, es formuliert
pädagogische Ziele und verarbeitet erfahrenes Leid. Dabei wird es
nie fixiert, sondern verändert sich mit den Bedürfnissen der
Sänger und Musiker. …..
Irene Nanninga, HESSISCHER RUNDFUNK
IN LIEDERN ÜBERLEBT
Ist man anfänglich erstaunt über die kindlich-naive
Schreibweise, wird einem schließlich von Seite zu Seite bewußt,
dass die Faszination des Buches von dieser Art des Erzählens ausgeht:
Geradeaus und unkompliziert schildert sie ihr Leben nach der Befreiung
aus dem Vernichtungslager Auschwitz, nur hin und wieder, wenn Augen von
Amtspersonen Kälte und Ablehnung signalisieren, spürt sie “die
Kälte von Auschwitz”. Die gemordeten Angehörigen bleiben
unvergessen, sie haben in Liedern und Geschichten überlebt. Der Leser
wird vertraut mit einer Besonderheit im Leben der Roma. Da sie vormals
nicht lesen und schreiben konnten, übergaben sie den Nachkommen ihre
Geschichte in Liedern.
“Man lernt durch die Musik , was erlaubt und was nicht erlaubt ist.
Man lernt die Gesetze”, beschreibt Ceija Stojka den tiefen Sinn
der Roma-Musik. Die Lieder sind wie reich verzierte Ketten, deren Glieder
man auswechseln und erneuern kann. Jeder Roma beherrscht diese Form der
Geschichtsschreibung, behauptet die Autorin, weil es ein wesentlicher
Teil seines Lebens ist.
Die Erinnerungen bestechen durch schlichte Erzählweise und durch
die erstaunliche Fähigkeit, auch irrationale Momente, wie beispielsweise
Träume, so darzustellen, daß man unweigerlich schaudert. Ceija
erlebt den Tod ihres geliebten Sohnes in einer mystischen Traumvision,
bevor sie erfährt, daß er tatsächlich an einer Überdosis
Rauschgift gestorben ist. Bei den Roma leben die Sinneswelt und das Übersinnliche
in trauter Einheit.
Hans Bergmann, NEUES DEUTSCHLAND