Wankostättn
 

WANKOSTÄTTN
Ein Überlebender erzählt

A 2023, 37 min, DCP 2K flat, engl. UT

Buch & Regie: Karin Berger // Kamera: Jerzy Palacz // Ton: Alf Schwarzlmüller // Schnitt: Niki Mossböck // Dramaturgische Beratung: Constantin Wulff // Produktion: Navigatorfilm //

Mit:
Karl Stojka

Vertrieb: www.sixpackfilm.com

Preis für den besten Kurzdokumentarfilm Diagonale 23

aus der Jurybegründung:
Über 25 Jahre lang hat Karin Berger das Material für diesen Film ruhen lassen, um sich diesen Aufnahmen nun wieder zuzuwenden. Bereits 1997 gedreht, gestaltet sich dieser Film zu einer Reise durch mehrere Zeiten und wird schließlich zu einem Sprung in die Geschichte und Seele einer Person, die es zutiefst versteht, von Menschlichkeit in einer von Gewalt geprägten zeit zu erzählen. Seit Jahrzehnten begleitet die Filmemacherin die Familie Stojka und kehrt immer wieder mit Feingefühl und Respekt, gedrungen durch die anhaltende Notwendigkeit, diese Zeitzeug*inneberichte sichtbar zu machen, zu deren erinnerungen und Erzählungen zurück. Mit herzlicher Lebenskraft und Intelligenz beleuchtet sie so in ihrem Film WANKOSTÄTTN eine wenig aufgearbeitete Leerstelle österreichsicher Geschichte.

 

Screenings (Auswahl):

2023 Diagonale Graz

 

In hellem Anzug mit elegantem Hut und Krawatte steht Karl Stojka auf der Quellenstraße in Favoriten, einem ehemaligen Arbeiterbezirk in Wien. Wir folgen dem Sog seiner Erinnerungen. Der kurze Dokumentarfilm Wankostättn basiert auf Interviews, die Karin Berger 1997 mit Karl Stojka geführt hat. Als zwölfjähriges Kind wurde er 1943 mit seinen fünf Geschwistern in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Er hat überlebt, so wie seine jüngere Schwester Ceija Stojka, die Karin Berger schon früher in zwei berührenden Filmen porträtiert hat. Der aktuelle Film ist das Ergebnis einer langen, freundschaftlichen Verbundenheit der Filmemacherin mit Ceija und Karl Stojka und ein einzigartiger Film über einen verschwundenen Erinnerungsort.

Im Gehen erzählt Karl Stojka von diesem Ort, von seiner Kindheit auf der „Wankostättn“ in Wien, wo sich bis 1941 ein großer Lagerplatz der Roma:nja und Sinti:zze befand.

Auf schwarzweißen Fotos, die von den Nationalsozialisten zur Erfassung gemacht wurden, sind die Lagerwiese, die Pferdewägen, vor allem Kinder und Frauen zu sehen. Durch die erzählten Erinnerungen werden die im Film nur kurz gezeigten Bilder der „Wankostättn“ in ein starkes, eigenes Erinnerungs-Bild von Karl Stojka übersetzt.

Wenn die Kamera alltägliche Straßenszenen, graue Wohnbauten oder parkende Autos mit ins Bild nimmt, während Karl Stojka von Pferdewägen, der Einsperrung und dem gewaltsamem Verschwinden seiner Familie, aber auch von gutem Einvernehmen mit vielen Wiener:innen erzählt, bekommt das (Über)Leben von Geschichte in der Gegenwart des unsichtbaren Antiziganismus ein unheimliches Gesicht.

Im letzten Teil des Films erinnert sich Karl Stojka in der Intimität seines Wohnzimmers an seine Befreiung als 14-Jähriger auf dem Todesmarsch aus dem KZ Flossenbürg. Er zeigt der Filmemacherin und dem imaginierten Publikum ein von ihm gefertigtes künstlerisches Objekt, einen Helm in dem eine Hacke steckt. In dieser visuell und dramaturgisch spannenden Schlußsequenz wird das Verhältnis von Täter:innen und Opfern, von Überleben und Vertrauen, von Handlungsmacht, Beglaubigung und Weitergabe noch einmal souverän aufgespannt. Die Kamera macht einen Raum frei für die unsichtbare Realität von Geschichte.
(Monika Bernold)

 

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Einige während der Dreharbeiten zum Film Ceija Stojka (1999) entstandene Aufnahmen zeigen Karl Stojka, der bewegend vom Leben der Roma*nja im nationalsozialistischen Wien und in der Wankostättn-Siedlung berichtet. In einer Gegenwart, in der die letzten Zeitzeug*innen sterben, stemmt sich Karin Berger gegen das drohende Schweigen und zeigt eine essenzielle Funktion des Kinos auf. Es ist bedenklich, dass die Jahrzehnte, in denen wir von Zeitzeug*innen über die Verbrechen des Nationalsozialismus lernen konnten, weder zu einer völligen Aufarbeitung führten noch rassistisches Gedankengut aus unserem Alltag verdrängten. Nun nämlich sterben die letzten Zeitzeug*innen, weshalb gerade dem Kino eine essenzielle Rolle zufällt. Karin Berger, die sich in ihrem Schaffen vielfältig in das weitgehend verschwiegene Schicksal der Sinti*zze und Roma*nja während der Zeit des Nationalsozialismus eingearbeitet hat, leistet mit Wankostättn einen weiteren wichtigen Beitrag, der dem drohenden Schweigen mit aller Kraft entgegentritt. Das Filmdokument besteht aus Aufnahmen, die sie 1997 im Rahmen ihres Drehs zu Ceija Stojka (1999) mit Karl Stojka, dem Bruder ihrer damaligen Protagonistin, in Wien drehte. Spazierend rekonstruiert Stojka die Lovara-Siedlung Wankostättn und erzählt mitreißend aus einem Leben, von dem man ohne seine Worte nie erfahren hätte.
(ph Diagonale)

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Eine besondere Erwähnung verdient der Preis für den besten kurzen Dokumentarfilm, der an Karin Berger für "Wankostättn" ging. Der 40-Minuten-Film besteht im Wesentlichen aus drei langen Takes, in denen Zeitzeuge Karl Stojka vom Leben der Roma*nja im Wien der NS-Zeit respektive der titelgebenden Siedlung in Favoriten erzählt: Ein bewegendes Dokument, entstanden 1997 während Berger an ihrem Film "Ceija Stojka" arbeitete.
(Michael Omasta, Falter Kinotipps)

 


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