Küchengespräche mit Rebellinnen
 

Küchengespräche mit Rebellinnen
A 1984, 80 min, Video und 16 mm, engl, franz. UT

Buch, Schnitt, Regie: Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik, Lisbeth N. Trallori // Kamera, Ton: Gerda Lampalzer // Musik: Carla Bley // Produktion: Medienwerkstatt Wien

Mit: Rosl Grossmann-Breuer// Anni Haider// Agnes Primocic// Johanna Sadolschek-Zala

Vier Frauen erzählen über ihren Widerstand im Nationalsozialismus. Agnes Primocic aus Hallein unterstützt die Flucht von Häftlingen aus dem KZ, sammelt unter großer Gefahr Männerkleider, schmuggelt mit ihrer Freundin eine Pistole und organisiert Unterschlupf für die Entkommenen. Johanna Sadolschek-Zala, Slowenin aus Südkärnten, kann durch ihre List und Ortskenntnis einem Großaufgebot der Gendarmerie und Gestapo entfliehen. Sie schließt sich den Partisanen an. Rosl Grossmann-Breuer aus Wien sabotiert in einem Kriegsbetrieb und ist nach ihrer Verhaftung den quälenden Verhören der Gestapo im Hotel Metropol ausgesetzt. Anni Haider erinnert sich an ihre Zeit im Gefängnis in Wien und Aichach, an die Solidarität unter den Häftlingen und ihre Tagträume in der Einzelzelle.

 

Screenings (Auswahl)
2023 Österreichisches Filmmuseum // 2018 Filmmuseum Wien // De France // OKTO TV // 2017 Ausschnitte: Ausstellung Stefan Zweig Literaturhaus Berlin // 2015 Wiener Festwochen // 2013 Galerie Olga Benario – Berlin Neukölln // 2012 Der österreichische Film - Diagonale Graz // 2002 7*STERN Wien // 1999 Die allerschönsten Frauen - Frauen im Widerstand Wien // 1991 Landvermessung – Der neue österreichische Film1970 - 1990 // 1990 Her Story – Manufaktur Schwäb. Gmünd // 1986 FEMINIALE Köln // 1985 Filmfestival Wels // Internationales Dokumentarfilmfestival Leipzig // Internationales Filmfestival Moskau // Internationales Forum des jungen Films Berlinale

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Verleih:
office@medienwerkstatt-wien.at

DVD erschienen bei „Der österreichische Film“ Hoanzl/Der Standard

 


Links
RANDSPRÜNGE - Medien Kunst Denken: Ein prospektiver Katalog, Gerda Lampalzer

OKTOSKOP https://www.okto.tv/de/oktothek/episode/20576

 

PRESSE & TEXTE

Ein Klassiker des österreichischen Kinos, der nichts von seiner Direktheit und emotionalen Kraft verloren hat. „Projektgruppe Frauen im antifaschistischen Widerstand“ lautet die Urheberzeile im Abspann – die Macherinnen haben vier Frauen Raum (und Zeit) gegeben, um über ihre Erfahrungen aus der NS-Ära zu erzählen. Rosl Grossmann-Breuer, Anni Haider , Agnes Primocic und Johanna Sadolschek-Zala haben damals unter Lebensgefahr Widerstand geleistet: Juden bei der Flucht vor dem KZ geholfen, die Partisanen unterstützt, der Folter durch die Gesapo und der Einzelhaft getrotzt. Die schmerzlichen Erinnerungen, nach denen 40 Jahre lang niemand fragen wollte, schildern sie unprätentiös und einfach, mit erstaunlicher Ruhe: Aus ihren Erzählungen spricht eine Poesie der Wahrheit, eine Unbeugsamkeit und Würde, die nach wie vor durch Mark und Bein geht. (C. H.)
Progamm ÖSTERREICHISCHES FILMMUSEUM 2018

 

Interview Oktoskop:
Die ”Küchengespräche mit Rebellinnen" wurden auf vielen Ebenen zum Meilenstein und sind wohl auch deshalb immer noch so aktuell. Mit Robert Buchschwenter taucht Karin Berger, eine der vier Autorinnen, tief in die der Entstehungsgeschichte ein, erzählt vom kollektiven Arbeiten und davon, wie aus einem wissenschaftlichen Projekt zur Erforschung des in Vergessenheit geratenen weiblichen Widerstands gegen den Nationalsozialismus ein Film entstand. Anschaulich und ohne je nostalgisch oder sentimental auf die eigene Pionierleistung zu schauen, beschreibt sie, wie aus 100 Interviewten jene 4 Frauen ausgesucht wurden, die im Film zu sehen sind und welche Bedeutung Intuition und der Mut zur Reduktion im Produktionsprozess hatten. Dass die "Küchengespräche" bis heute immer wieder gern gezeigt werden, liegt wohl auch daran, dass sie die Hoffnung auf ein solidarisches Miteinander nähren.

www.okto.tv/de/oktothek/episode/20576

 

Die Küche, ein Ort der Mitte, der unermüdlichen Frauenarbeit, ein Ort des leiblichen Genusses. Ein emotionaler Ort der Lebenspraxis, aber auch des Erinnerns an Akte der Barbarei und Verfolgung unter einer NS-Diktatutur, die mit den „Anderen“, den rassistisch Markierten, den Marginalisierten, der politisch-demokratischen Opposition jedweder Couleur Tabula rasa machte. Somit ein Ort des Erinnerns an das eigene Widerstehen, an das Sich-nicht-hineinziehen-Lassen in die Rituale des Mitlaufens, an das Selbstversändliche des aufrechten Gangs. An das solidarische Gefüge des Frauenwiderstands, der damit an das Licht der Öffentlichkeit gelangt.

Die vier Frauen, die von ihren mutigen Handlungen und klugen Schachzügen gegen das Nazi-Regime so unprätentiös vor der Kamera erzählen, hatten sehr unterschiedliche Möglichkeiten, etwas zu tun. Was sie eint, ist ihre Motivation, sich nicht brechen zu lassen und ihre Unbeugsamkeit zu bewahren, trotz großer Angst, permanenter Bedrohung und Lebensgefahr. Mit ihrer Erzählkunst über ihre widerständigen Aktionen lassen diese Frauen ein Stück Zeitgeschichte vor uns entstehen, das sich gegen Menschenfeindlichkeit, Ausgrenzung und Vernichtung richtet. Sie formulieren damit auch eine Ermutigung, vor allem für Jugendliche, sich in der heutigen Epoche nicht unterkriegen zu lassen und zu widerstehen.
Lisbeth N. Trallori, DER STANDARD 2012

 

Bedrängt, manchmal auch selbst überrascht von der Fülle des Erlebten, das nicht inventarisiert und rationalisiert im Gedächtnis einfach abrufbereit vorhanden ist, erzählen die Frauen in Gegenwart der Kamera von Angst, von Todesmut, von Tricks und Kniffen, die das Überleben sicherten. Keine der Frauen hat einen Kompromiss geschlossen du sich an die Erinnerung gewöhnt.
Hans Hurch LANDVERMESSUNG 1985

 

TODESMUTIG. ÜBER DEN DOKUMENTARFILM KÜCHENGESPRÄCHE MIT REBELLINNEN.

(...) Der Film entstand in den frühen 1980er Jahren als eines der ersten filmischen Oral History-Projekte in Österreich, wurde 1984 vorgestellt und gilt zu Recht als bahnbrechend. Wer sich je mit österreichischem Widerstand befasst hat, kennt zumindest den legendär gewordenen Titel des Films.

(...)

Der Film „Küchengespräche mit Rebellinnen“ ist eines der Ergebnisse eines umfangreichen Forschungsprojekts der genannten Wissenschafterinnen. Was an ihm besticht, ist seine ästhetische Geradlinigkeit. Es geht ganz bewusst um das Dokumentarische, die Autorinnen nehmen sich selbst gänzlich zurück. Keine filmischen Zierrate, kein erläuternder Kommentar, vier Frauen erzählen.

(...)

Die Angst. Sie war den Frauen im Widerstand nicht fremd. Sie wussten, worauf sie sich einließen. Sie wussten, wozu die Nazis fähig waren. Und davor haben sie sich gefürchtet. „Mit Recht“, sagt Grossmann-Breuer. Und dennoch haben sie Widerstand geleistet. Deswegen sind sie Heldinnen. Weil Heldentum nicht Angstfreiheit bedeutet, sondern festhalten an der eigenen Überzeugung und danach handeln – trotz Angst. Die Angstfreien sind häufig angstfrei wegen geringeren Vorstellungsvermögens. Diese Frauen aber wussten Bescheid. Heldentum im 20. Jahrhundert ist kein männliches Privileg. Das hängt auch mit dem Konzept des Totalitarismus zusammen, das Frauen als Anhängerinnen und mehr noch als Gegnerinnen ernst nimmt – allem nationalsozialistischen Männlichkeitskult zum Trotz. Nun tragen Frauen dasselbe Risiko wie Männer. Daher sind die Rebellinnen aus den Küchengesprächen Heldinnen – auch wenn sie dies für sich selbst nicht in Anspruch nehmen.

Zur Wirkungsgeschichte des Films: Er kam gerade zur rechten Zeit, 1984. Das ist zwei Jahre vor Beginn des Streits um Waldheim, in dessen Verlauf das Bewusstsein für Österreichs Nazigeschichte und für den nachfolgenden Umgang mit dieser Geschichte deutlich geschärft wurde. Zwei Jahre früher war man – jedenfalls eine breite Öffentlichkeit – noch nicht so weit gewesen. Aber die Zeichen standen auf Sturm. Für den folgenden Sturm ist „Küchengespräche mit Rebellinnen“ eine wichtige historische Vorarbeit.
Peter Huemer, UPDATE! Perspektiven der Zeitgeschichte. 2010

 

In den Interviews erzählen Frauen von ihrem Widerstand, konfrontieren uns mit dem Rollenklischee der angeblichen Männlichkeit derartigen Handelns, brechen die Hohlheit der Verantwortung auf, man hätte als einzelner ja nichts machen können, und öffnen einen neuen Zugang zu einem durch allzu viele Mythen und Klischees verstellten wichtigen Problem unserer nationalen Identität. Sie schildern das Einbrechen eines unmenschlichen Systems in ihren Alltag und lassen uns teilhaben an den weltanschaulichen oder politischen Wurzeln ihres Handelns, die aber im Grunde nur aus einem Motiv stammten: vor sich selbst bestehen zu können.
Prof. Gerhard Jagschitz 1984

 

Der Film ‘Küchengespräche mit Rebellinnen’ hat mich nachhaltig beeindruckt. Schade nur, daß er wie jeder Film ein Ende hat; ich hätte den Frauen, die von ihrem Widerstand gegen den Hitlerfaschismus erzählten, noch viele Stunden zuhören wollen. Nicht nur, weil es aufregend, spannend und ermutigend ist, was sie zu sagen haben, sondern auch aus Dankbarkeit. Ihnen zuzuhören, in ihren Gesichtern zu lesen, ist die einzige Form, in der man ihnen Dank sagen kann für das, was sie getan haben, was sie – das ist gewiß der nebensächlichste Gesichtspunkt – auch für mich getan haben. Wenn nämlich diese Frauen erzählen, kann man rückblickend auf die Nazizeit endlich den Augenblick erleben, da man sich nicht genieren muss, Österreicher zu sein.
Bemerkenswert ist der Film auch als Kunstprodukt, da er sich den Widerstandskämpferinnen gegenüber, die er ins Bild setzt und zu Wort kommen läßt, grundsätzlich anders verhält als unsere Gesellschaft: er verhält sich respektvoll. Er protzt nicht mit Kunstmitteln, die Frauen der Projektgruppe setzen sich nicht selbst in Szene, sie mißbrauchen die Kunst des Dokumentarfilmesn nicht, um irgendeinen obskuren Kunstwillen zu dokumentieren.

Ein Glücksfall, dass diese Rebellinnen und diese Projektgruppe zueinandergefunden haben. Auch das Ergebnis: ein Glücksfall.
Michael Scharang 1984

 

Als sie (Agnes Primocic) aber mit zwei Koffern sich auf den Weg zu dem verabredeten Mittelsmann macht, sieht sie, dass vor der Brücke , über die sie muss, ein Soldat alle genau kontrolliert. Nun ist’s aus, denkt sie. Da erkennt sie in dem Wachtposten einen ehemaligen Genossen, der mit ihr bei den Kinderfreunden war. Auch er verrät, sie erkannt zu haben, und gibt ihr ein Zeichen, sie könne ungefilzt hinüber.
Spannende Anekdote eines thrillerbegabten Schriftstellers? Eine weißhaarige Frau erzählt dies nebst noch drei Frauen, die vierzig Jahre lang über ihre Erlebnisse im Widerstand nie gefragt wurden, nun aber in dem Film “Küchengespräche mit Rebellinnen” sich freierzählen konnten: über Folterungen, über ihre Ehre, die Solidarität war, auch über etliches, worüber eine andere hochbejahrte Erzählerin noch heute lachen muss: Wie sie das Inquisitenspital in Wien zu einem einzigen Widerstandsnest umfunktioniert hatten, in dem im letzten seelischen Schmutzwinkel noch kein Verrat gelauert hat…. Die einzelnen Erzählungen immer wieder unterbrochen von eingeschnittenen Jugendphotos: Was waren das für schöne Frauen!
Fritz Walden, AZ, 29.10.1984

 

Sie heißen Rosl, Anni, Zala. Keiner kennt heute ihre Namen. Die Gestapo damals kannte diese Namen sehr gut. Rosl, Anni, Zala und die anderen leisteten Widerstand gegen das Nazi-Regime.

Adieu männliche Geschichtsschreibung, adieu politische Ignoranz und Borniertheit! Grabe, wo Du stehst! – von uns Frauenbewegten wörtlich genommen als Motiv für ein Projekt, aus dem ein Film und ein Buch geworden sind. Was uns interessierte, war die andere Hälfte des Widerstands. Nicht die Hälfte des Himmels, sondern die in der faschistischen Hölle; Frauen, die sich gegen Terror und Menschenverachtung, gegen die Übergriffe der NS-Diktatur gewehrt haben. Frauen, die unsere Mütter und Großmütter sein könnten. Furchige Gesichter, abgearbeitete Hände, hie und da ein verschmitztes Lächeln – wie gewohnt.
Und doch unterschieden sie sich von einem Großteil unserer Bevölkerung, sie sagten nein, wo viele ja schrien, erhoben ihre Hand nicht zum Hitler-Gruß, sondern ballten sie zu Fäusten. Dass wir 40 Jahre nach Kriegsende spät dran waren, war uns bewußt. Doch es galt, Spuren zu sichern, noch ehe sie der Gegenwind endgültig verwischt hatte. Unser Wunsch war, dieRebellinnen in unserem Land zu entdecken, in dem Kadavergehorsam und Anpassung zu den gewünschten Tugenden gehören. In einem Land, in dem ein Minister einen NS-Kriegsverbrecher auf Staatkosten per Flugzeug abholen und ihn mit Handschlag begüßen kann, ohne seines Amtes enthoben zu werden.
Auf der Suche nach dem bislang unbekannten weiblichen Widerstand haben wir Akten studiert und Berichte gelesen, sind in die entlegensten Dörfer gefahren, haben dort Erkundigungen nach den damals Aktiven eingezogen. Was war aus ihnen geworden? Haben sie überlebt?
Zum Beispiel: Zala. Ein Foto von ihr, entdeckt in einem Buch über den Kärntner Partisanenkampf, diente als einziger Anhaltspunkt. Zwischen zwei Männern stehend, in Partisanenuniform, blonde Zöpfe, die Arme nonchalant in den Hosentaschen. Eine Aufnahme aus dem Jahre 1944.
Das Buch unter den Arm geklemmt und in die Berge Südkärntens gefahren! Widersprüchliche Auskünfte, die wir in der Ortschaft im Tal erhalten, erschweren unsere Recherchen. Nach einigen Irrfahrten auf abseits gelegenen, steilen Wegen, eröffnet sich eine Hochebene, Wiesen, dazwischen ein Bauerngehöft samt Stallungen, davor ein Bienenhaus. Auf mein Klopfen hin erscheint eine Frau im Vorraum, gestützt auf ihren Stock. Obwohl sie eine Brille trägt, erkenne ich sie an ihren Augen, an dem ungetrübten Blick.
Zunächst ein Zögern. Zala war mißtrauisch, weil gerade in Kärnten die faschistische Vergangenheit nicht überwunden ist, weil Frauen wie sie noch heutzutage als “Banditinnen” diffamiert werden.
Vorerst war da nichts zu machen. Nach einem Briefwechsel kam schließlich eine Zusage. Als wir im Spätsommer mit der gesamten technischen Ausrüstung bei ihr landeten, schickte sie uns neuerlich zurück. Wichtigeres in der Landwirtschaft war zu tun. Erst ein Jahr später klappt es, die anfängliche Zurückhaltung ist verschwunden. Wir sind uns dann sehr nahe gekommen.
Mit anderen slowenischen Bauernmädchen schließt sich Zala in der ersten Frauengruppe zusammen, später organisiert sie in ganz Kärnten die antifaschistische Frauenfront. Die militante Freiheitsbewegung unterstützt sie tatkräftig mit Lebensmitteln und Informationen. Im Herbst 1943 wird sie gefangen genommen. Flankiert von einer stark bewaffneten Wachmannschaft führt man sie während einer Oktobernacht durch Fichtenwälder. Sie soll einen “Bunker” der Partisanen preisgeben. Trickreich gelingt es ihr, die Fesseln allmählich zu lockern. Als sie bemerkt, dass neben ihr das Gelände abfällt, wirft sie sich den Geröllhang hinunter. Brombeerstauden zerfetzen ihre Kleider bis auf die Haut. Hinter ihr steigen Leuchtraketen auf, machen die Nacht zum Tag, die Gestapo ballert den Hang hinab – vergeblich.
Als Partisanin tauschte Zala ihr wohliges Bett gegen die Lagerstatt im Freien, den Rechen gegen ein Gewehr. Ihre heutigen Schilderungen zeichnen die Schattenseiten nach, lassen erkennen, warum sie sich abpanzern mußte, um all das zu überstehen. Kurz nach ihrer gelungenen Flucht üben die Nazis Rache. Sie äschern den heimatlichen Hof ein, verschleppen zwei ihrer Tanten ins KZ.
An Zalas Gürtel hängt eine Handgranate, für sie selbst bestimmt. Den Faschisten nicht lebend in die Hände zu fallen, ist ihre Parole. Zuviel der Greuel, die sie erlebte, zuviel der Massaker unter der Zivilbevölkerung, die sie mitansehen mußte. Den Geruch verkohlter Menschenteile in den niedergebrannten Dörfern, in denen die Nazis gewütet hatten, kann sie nicht mehr vergessen.
Auf der Heimfahrt nach Wien verlassen uns diese Bider nicht mehr. Bei den Dreharbeiten ist viel aufgebrochen: die Bilder verdichten sich zu Fragen, wie wir uns selbst verhalten hätten in der damaligen Situation. Fragen, die uns bedrängen.
Agnes Primocic? Oh doch! Im Kaffeehaus, in dem wir eine Rast einschalten, nicken die Leute. Ihr Name ist ihnen geläufig. Zwar können sie uns keine Straße nennen, wissen aber genau, wo sie wohnt: In Griesrechen, einer Arbeitersiedlung am Rande von Hallein.
Sie werkt gerade im Garten. Eine agile Frau, helle Schürze. Schlohweißes Haar, das am Hinterkopf ordentlich verknotet ist, ovaler Gesichtsschnitt, derselbe schwarze Ohrring seit ihrer Jugend. Ehemals Tabakarbeiterin, nunmehr in Pension. Keine romantische Carmen, ihre Leidenschaft galt der Politik. 1934, als in der Kälte des Februar die österreichischen Arbeiter ihren Aufstand probten, hielt sie ihre ersten öffentlichen Reden, auf einem Schneehaufen.
Als Betriebsrätin in einer Fabrik, in der vorzugsweise Mädchen für die staubige Arbeit mit den Tabakrollen eingesetzt werden, steht sie voll und ganz hinter dem ausgerufenen Generalsteik. Agnes fordert die männlichen Kollegen im Salinenbetrieb und in der Brauerei zum gemeinsamen Aufstand auf. Man wimmelt sie ab. Die Tabakarbeiterinnen bleiben die einzigen, die streiken. Seit dieser Zeit vertritt sie die Ansicht, daß auf Männer kein Verlaß sei.
Schon als Kind verdient sie ihren Lebensunterhalt mit Herdputzen. Das Geld reicht kaum für das Nötigste. Bücher, die sie heiß liebt, kann sie sich keine leisten. Aus der Pfarrbibiliothek entlehnt sie sozialkritische Romane von Jack London und Traven. Bebel hat es ihr besonders angetan, weil sie dort erstmals erfährt, daß es ein Matriarchat gegeben hat.
Sie ist ganz Clanmutter. Wie bedrückend ist es heute noch für sie, über den Tag ihrer Verhaftung zu berichten. Plötzlich bricht sie in Schluchzen aus. Gendarmen durchwühlten die ganze Wohnung und nahmen sie einfach mit, ungeachtet, daß ihre kleine Tochter Mauxi an Lungenentzündung litt.
Und dennoch – sie wußte, es war richtig, was sie getan hatte. Sie, die nie einer Katze oder einem Hund etwas zuleide tun konnte, war empört über das, was der Hitler-Faschismus aus den Menschen machte: Sie wurden zu Spitzeln und Denunzianten, zu Gehässigen und Massenmördern. Trotz des Versprechens, das sie ihrem Mann gegeben hatte, nämlich politisch nichts mehr zu tun, blieb sie weiterhin aktiv. Sie konnte nicht ablehnen, als man sie bat, KZ-Flüchtlingen das Leben zu retten und dafür ihr eigenes zu riskieren.

Oder Rosl Grossmann-Breuer. Die Film-Aufnahmen über diese Rebellin machen wir Anfang März, die Gegend ist tief verschneit, wir ziehen die Kamera auf einem Schlitten zu ihrem Holzhaus. Rosl zeigt uns den Weg mit Schiern voran. Eine heiße Suppe hat sie uns vorbereitet, zum Aufwärmen. Rosl kenne ich seit Jahren, sie ist die Mutter einer Freundin. Doch erst als wir unser Projekt starten, uns überall umhorchen, erfahre ich von ihrem Sprung aus dem 4. Stock der Gestapozentrale in Wien. Ein Sturz, der ihr die Freiheit brachte. Um den Preis schwerster Verletzungen, um den Peis eines monatelangen Zwangsaufenthalts im Inquisitenspital. Ehe sie irgendeinen Menschen verraten hätte, hätte sie sich lieber die Zunge abgebissen. Der Gedanke, daß jemand durch sie hochgehen könnte, ist ihr ein Alptraum. – Noch heute, wenn sie sich daran erinnert.
In einem Altersheim in Linz stöberten wir Anni Haider auf, eine Wienerin, die hier ihren Lebensabend verbringt. Das Heim liegt direkt an der Bundesstraße, innen herrscht eine ruhige und freundliche Atmosphäre. Anni ist die älteste der Akteurinnen, mit denen wir vor laufender Kamera über ihre Lebensgeschichte sprechen. Seit Jahren schon laboriert sie an einem Herzleiden. Ihre Erfahrungen uns mitzuteilen, ist ihr trotzdem ein Bedürfnis. Trotz der Furcht vor dem Aufbrechen oberflächlich verheilter Wunden.
Überraschend für uns ist der herzliche Empfang. In dem kleinen Zimmer biegt sich der Tisch voller Leckereien, Krapfen und Schinken. Sofort ist sie in ihrem Element, faszinierend durch ihre Vitalität. Im Wienerischen heißt das: “Schmähführerin”. Die Szenen im Gefängnis stellt sie nach, berichtet von ihren Bravourstücken mit ansteckendem Humor: Wie sie im Beichtstuhl dem Gefängnis-Pfarrer antifaschistische Reden “von draußen” vorliest; wie sie Zeitschriften auf winzigen Zettelchen herstellt, die dann heimlich in alle Gefangenenhäuser in Wien verteilt werden. Sie ahmt den Tonfall der Klosterschwestern nach, mit denen sie im Inquisitenspital gemeinsame Sache machte. Das Bittere des Erlebten und ihre Trauer werden in den langen Geprächs-Pausen spürbar.
Über Monate hinweg gab es Kontakt mit den vom Regime zum Tod verurteilten Mitkämpferinnen, die in den Zellen direkt unter ihr waren. Was blieb zu tun, als diese Verbindung nicht abreißen zu lassen, aufzumuntern, Trost zu senden über eingeschmuggelte Kassiber. Bis sie dann selbst in der Todeszelle saß, ungewiß, wann man sie aufs Schafott holen würde. Wachträume und unerfüllte Sehnsüchte waren ihr Strohhalm. Das intensive Gesumme der Bienen, das Bad im kühlen Wasser der Donau erlebt sie in der Phantasie. Mit dem einzigen Lebewesen in ihrer Zelle, einer Spinne, hält sie Zwiegespräch. Amseln, die zu ihr auf die Luke kommen, füttert sie mit den Brotstückchen, die sie von ihrer tagtäglichen Essensration abgezweigt hat. Diese Vögel werden auch ihre Grüße übermitteln, Grüße an den Sohn und an den verhafteten Mann; dessen ist sie sich gewiß. Sich nicht hinter den Kerkermauern kleinkriegen zu lassen, ist Teil ihres Widerstands.
Wir wollten, dass diese “Küchengespräche” nicht in der Küche bleiben. Im Schneideraum haben wir uns von der Dramaturgie, die den Geschichten dieser Widerstandsfrauen innewohnt, leiten lassen. Die Poesie ihrer Erzählungen sollte durch keinen unnötigen Kunstkniff gebrochen werden. Wir wollten den Zuschauern eine Begegnung mit diesen Frauen ermöglichen, die keines Kommentars bedurfte. Eine Begegnung, die schon längst fällig war.
Lisbeth N. Trallori, EMMA 1985


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